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Australische Züge - Verständnis für dieses Land27.03.2002
Sind
Sie schon mal in australischen Zügen unterwegs gewesen? Nein? Schade, denn das
lohnt den langen Flug hierher absolut. Beispiele gefällig? Aber gerne: Zu Billigstpreisen darf man tagelang Sydney mit dem Kombiticket „Daytripper“ (nicht zu verwechseln mit einer vorübergehenden Geschlechtskrankheit - wobei man sich manchmal sogar fast etwa so fühlt am Ende des Reisetages) kann man also per Bus, per Bahn natürlich und sogar per Schiff die Stadt Sydney durchqueren oder durchkreuzen oder umfahren.
Wer
die Sprache der ansässigen ehemaligen Convicts, (für nicht-englisch
Sprechende: Convict sind die ehemaligen britischen Gefangenen, die der
Einfachheit halber statt in ein Gefängnis nach Australien ausgesperrt worden
sind, wo man sich heute noch mit Stolz diesen leicht lupenunreinen Urahnen
entsinnt), also wer Englisch beherrscht oder noch besser die leicht abgeänderte
australische Variante davon, der kann sich allüberall an einen der
Bahnangestellten halten und dort die einfache Frage in den Raum stellen, wo der
nächste Zug denn in etwa Wer
nun nicht das grosse Glück hat, gleich auf den Oberverantwortlichen der
Fahrplanabteilung gestossen zu sein, der wird ein freundliches Achselzucken
erhalten, im besten Fall mit der Hoffnung begleitet, dass dieser Zug womöglich
bald, bestimmt aber ohne Garantie auf jenem Geleise einfahren werde, wobei noch
weniger garantiert werden könne, dass er dieses Geleise dann auch
weiterzufahren gedenken würde. Nehmen
wir also an, der glückliche Umstand hat unseren Bahnreisenden in einen sogar
fahrenden Zug gebracht. Nachdem die Türen unter Getöse, aber
erstaunlicherweise sogar automatisch geschlossen haben und der Zug tatsächlich
zu rollen beginnt, wird sich der Fahrgast nach einer Sitzgelegenheit umtun. Das
zumindest nehme ich als einen der instinktiven Urtriebe eines jeden Reisenden
mal so an. Unser Reisender sucht also sein Plätzchen. Ist der Zug nicht
bumsvoll, dann besteht da sogar eine gewisse Aussicht auf eine Fahrt im Sitzen.
Nein, setzen wollen wir uns nicht auf die Colaflasche, die da liegt neben einer
größer werdenden Colalache, weil die Züge hier keinen Nische für Abfälle
haben. Nehmen Sie bitte ihren Abfälle mit, steht da hoffnungsvoll auf einem
Plakat an der Zugstuer. Auch auf Schuhabdrucke möchte man sich nicht gleich
setzen und ebenso wenig auf die aufgeschlitzte Sitzbank. Aber dort, ja dort
hat’s noch einen Platz. Nur schade, dass die Bank nach rückwärts gerichtet
ist, man fährt und blickt doch gerne in die Zugsrichtung. Kein
Problem! Die Technik der Gründerzeit macht’s möglich: mit einem kräftigen
Ruck kippt die Bank nach hinten und man fährt nach vorne. Und da gibt es von
Wagen zu Wagen nun die unterschiedlichsten Verschiebesysteme: einmal klappt die
Banklehne einfach nach hinten, ein anderes Mal muss sie horizontal über sich
hinweg rotiert werden. Dann gibt es die Lehnen, bei denen dies gar nicht geht
und jene, bei denen es eigentlich nicht gehen sollte und das Sitzen nach dem
Verschieben zum Gesundheitsrisiko wird. Inzwischen
hat die mit Erstaunen begleitete Erkundschaftung dazu geführt, dass man den
Zielbahnhof verpasst hat. Das macht aber gar nichts, denn es gibt noch mehr zu
entdecken. Sofern man wintertauglich ist. Draussen scheint zwar die Sonne, aber
drinnen herrscht Tiefkühlraumklima. Da blaest’s und saugt’s dass jeder größere
Schlachtkühlraum eine Kühlniete im Vergleich dazu ist. Nach einer
morgendlichen Fahrt leidet auch der Hinterste und Letzte im Wagen an Rheuma.
Aber dann noch lieber das als die andere Variante, wo das Gebläse in
Dauerbetriebspanne liegt. Solche Wagen müffeln schon von weitem beim Herannahen
von aussen an die offene Türe, durch die sich schweissgeperlte Zugsinsassen drängeln.
Lieber nochmals eine Stunde warten, als in einem solchen Gefährt mitzureisen,
ausser das dauere wenige Minuten, sofern dann die Geleise zum Zielbahnhof nicht
aufgrund irgendeiner Panne nicht frei, verlegt oder sogar inexistent sind. Ich
will niemandem das Zugfahren verleiden. Im Gegenteil: ohne dieses Erlebnis hat
man Australien nicht gesehen. Offiziell muss man den Uluru erlebt haben,
inoffiziell bleibt man ein Aussie-Banause ohne Rail-Erlebnis. Alleine
die Chassis, von aussen gesichtet, sind wahre Wunderwerke. Sie zeugen von den
guten alten und soliden 60ern oder sogar noch früher zurück, eigentliche
Fossilien einer längst vergangen geglaubten Zeit. Hier leben und fahren sie
noch. Ein jeder Bahnfreak wird sich freuen, sein Herz höher schlagen, schon nur
beim Sichten dieser silbergrauen Metallschachteln. Und allesamt sind sie zweistöckig,
mit Treppwerken, die die Treppengalerie des Eiffelturms vergleichsweise als
breitausladende magistrale Aufstiege mit geringem Anstiegsverhalten erscheinen
lassen. Und dann die Lokomotiven: von Design keine Spur, man war damals wohl
einfach froh gewesen, dass man den Stromabnehmer und die Antriebsmotoren in ein
fahrbares Gehäuse unterbringen konnte. Australier verzichten allzu gerne auf
diesen europäischen Schnickschnack - Hauptsache es widersteht den aufsässigen
Kaenguruhs und der unerbittlichen Sonne. Und
da bin ich bei meiner Für- oder Abbitte angelangt: ich habe so viel schlechtes,
so viel abschätziges über dieses Land geschrieben, dass man meinen könnte,
ich täte es verachten und sogar hassen. Ich kann nur hoffen, dass nie einer
meiner Freunden hier zu lesen bekommt, was ich da so niederkritzelte.
Bis
nur schon die Leute begriffen hatten, dass man die Blue Mountains nicht wie in
Europa von unten her durch’s Tal wandernd überquert, sondern gleich anfangs
in die Höhe steigt und dann oben bleibend, Kämmen entlang wandernd, überschreiten
kann, das hat Jahr gedauert. Und viele frustreiche und sogar verlustreiche
Exkursionen gebraucht. Was
heute so selbstverständlich ist, war dies noch vor wenigen Jahrzehnten absolut
nicht. Noch Ende 19. Jahrhundert war die erste Dauer-Frage, die man sich hier
stellte: wie komme ich zu etwas Essbarem und zu etwas Trinkbarem. Dass das
Befriedigen solcher Grundbedürfnisse nicht viel Raum für beispielsweise
Designfragen und Planung offenliess, kann man sich aber ungut vorstellen, wenn
man sich nicht selber mal einen Tag damit hat befassen müssen. So
hatte ich das zwiespältige Vergnügen gehabt, eines Tages vor lauter Durst
Wasser aus einem Tümpel zu laben, und das vis-a-vis von ein paar Froeschen. Und
das ist mir damals sehr leicht gefallen, nachdem ich mich eine ganze Nacht und
einen Morgen lang unter anderem mit der Frage beschäftigt hatte, wo zum Teufel
ich denn hier in diesem weiten Wald eine Tränkestelle finden würde. Ich hätte
damals jeden lukrativen Designauftrag glatt verwirkt. Aber
die Australier wissen inzwischen um ihre Schwächen. Das Fernsehen zeigt tagtäglich,
wo die anderen Staaten stehen. Und gerne möchte man da mithalten. Jede Kritik
trifft sie im Innersten und wird mit einer Vehemenz ausgefochten, dass man gerne
auf jegliches Aussprechen von Wahrheiten verzichtet und lieber lobt, was es hier
zu loben gibt. Und
davon gibt es schliesslich genug. Das Land, dieser Kontinent ist voller toller
Überraschungen, eine Wundertüte an Sehenswertem, eine Art Märchenland gröberen
Geschützes, aber nicht weniger bezaubernd. Australien ist das Verweilen, die
Geduld, das genüsslich Hinhorchen und das müßige Bewundern wert. Zum
Schluss noch eine andere Zug-Anekdote: da gibt es natürlich auch einen
Erstklasse-Reisezug. Sogar ein Netz, das die Staaten auf diesem Kontinent
miteinander verbindet. Und dort reist man, vorausgesetzt man hat das nötige
Kleingeld, fürstlich schön, in einem Zweierabteil mit WC, Dusche, Lavabo,
alles zwar auf engstem Raum, aber umso erstaunlicher eingerichtet, denn alles lässt
sich bei Nichtgebrauch einfach wegklappen, mitsamt Inhalt sogar, was man aber
nicht unbedingt tun sollte. In diesem Zug hat die erste Klasse einen eigenen
Speisewagen und eine Dauercafeteria für die Unersättlichen.
Wie
gesagt: Australien verlangt etwas Geduld vom Reisenden. Wer da das Gespräch
nicht scheut, seine Augen auf den exotischsten Garderoben weiden lässt, für
den ist auch die Überlandzugfahrt ein erfrischendes und unvergessliches
Erlebnis. Der eine oder die andere mag es bemerkt haben oder zumindest davon gehört: im letzten Abschnitt sprach ich hier vom "Ghan", dem berühmten Wüstenzug, der inzwischen als "Golden Ghan" von Adelaide queer hinauf via Alice Springs nach Darwin rollt - einen Tag und eine Nacht Zugfahren unter luxuriösen Umständen und zu fürstlichen Fahrpreisen. Mit Kamelen erbaut, ist diese Strecke noch heute als Pionierleistung bewundernswert. Und dass Australien eines der grössten Kamel exportierende Länder ist, wissen die wenigsten. Die Kamele nämlich liess man nach dem Ende des Bauwerks in die freie Wildbahn, wohl mit der Idee, dass sie bis zum Verdursten wenigstens noch ein paar Tage Freiheit geniessen können sollten. Dass diese wunderlichen Tiere schliesslich das australische Outback, dessen Steppen und Wüsten als paradiesisch erlebten und mit vielen Nachkommen belebten, das hätte damals niemand geglaubt. Die Kamele sind heute eine regelrechte Plage, schon fast so aufsässig wie die anderen eingeschleppten "Altwelt Tiere" Fuchs, Katze, Kaninchen und der verwilderte Hund. Solange die arabischen und maghrebinischen Staaten Bedarf haben, versucht man diese bissigen Biester einzufangen und mit ihnen etwas Geld zu verdienen. |
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